Entscheidungsbäume als praktische Guidelines

Von Guidelines zur praktischen Anwendbarkeit

Marcel Mayr

UX Experte

In komplexen Unternehmensumgebungen stoßen selbst gut dokumentierte Design Systems an ihre Grenzen. Entscheidungsbäume bieten eine elegante Lösung, um Guidelines praktisch anwendbar zu machen und die Auswahl der richtigen Komponenten zu vereinfachen – selbst für Team-Mitglieder ohne UX-Hintergrund.

Die Herausforderung: Vom Wissen zum Handeln

Trotz Komponentenbibliothek oder Style guide stehen in der Praxis Product Owner, Business Analysten und Entwickler weiterhin vor der Herausforderung, im konkreten Anwendungsfall die richtige Entscheidung zu treffen:

  • "Sollen wir hier einen Modal-Dialog oder ein Side Panel verwenden?"
  • "Ist diese Fehlermeldung besser als Toast oder als Inline-Hinweis umgesetzt?"
  • "Welches Formular-Muster passt für diesen Anlageprozess?"

Komplexe Guidelines in Textform sind oft zu sperrig, um wirklich ihren Weg in die praktische Anwendung zu finden.

Die Lösung: Entscheidungsbäume als praktische Brücke

Entscheidungsbäume transformieren komplexe Guidelines in anwendbare, strukturierte Entscheidungsprozesse. Sie führen Anwender durch eine Reihe von einfachen Ja/Nein-Fragen zu einer konkreten Empfehlung. Damit werden UX-Prinzipien auch für Nicht-UX-Experten anwendbar.

Was sind Entscheidungsbäume im Kontext von Design Guidelines?

Entscheidungsbäume sind strukturierte, flowchart-ähnliche Diagramme, die:

  1. Mit einer konkreten Fragestellung beginnen (z.B. "Welche Art von Fehlermeldung soll verwendet werden?")
  2. Durch eine Reihe von klar definierten Ja/Nein-Fragen oder Mehrfachauswahl-Entscheidungen führen
  3. Je nach Antwortpfad zu einer konkreten Empfehlung für eine Komponente oder ein Pattern führen

Das Besondere: Sie reduzieren komplexe Design-Entscheidungen auf eine Reihe einfacher, aufeinander aufbauender Fragen, die auch von Nicht-UX-Experten beantwortet werden können.

Anwendungsbereiche: Wo Entscheidungsbäume besonders wertvoll sind

Entscheidungsbäume eignen sich besonders für wiederkehrende Design-Entscheidungen mit klaren Kriterien:

1. Fehlermeldungen und Benachrichtigungen

Ausgangsfrage: "Welche Art von Fehlermeldung/Benachrichtigung soll verwendet werden?"

Typische Entscheidungskriterien:

  • Blockiert der Fehler den weiteren Workflow?
  • Betrifft der Fehler das gesamte System oder nur einen Teilbereich?
  • Muss der Nutzer den Fehler bestätigen oder zur Kenntnis nehmen?
  • Wird eine Aktion vom Nutzer erwartet?
  • Ist die Information zeitkritisch?

Beispiel-Entscheidungsbaum:

[Bild]

2. Formulare und Eingabefelder

Ausgangsfrage: "Welches Formular-Pattern sollte für diesen Anwendungsfall verwendet werden?"

Typische Entscheidungskriterien:

  • Wie viele Eingabefelder werden benötigt?
  • Gibt es logische Gruppierungen der Felder?
  • Müssen alle Felder ausgefüllt werden oder sind einige optional?
  • Hängen Felder voneinander ab (bedingte Logik)?
  • Wie häufig wird das Formular verwendet?

3. Navigations- und Informationsarchitektur

Ausgangsfrage: "Welches Navigationsmuster ist für diesen Bereich am besten geeignet?"

Typische Entscheidungskriterien:

  • Wie tief ist die Hierarchie der Inhalte?
  • Wie wichtig ist der direkte Zugriff auf alle Bereiche?
  • Sind die Navigationspunkte gleichwertig oder gibt es Hauptbereiche?
  • Wie viel Bildschirmplatz kann für die Navigation verwendet werden?

4. Tabellen und Datenvisualisierung

Ausgangsfrage: "Wie sollten diese Daten am besten dargestellt werden?"

Typische Entscheidungskriterien:

  • Wie viele Datensätze werden typischerweise angezeigt?
  • Wie viele Attribute sind auf den ersten Blick relevant?
  • Werden Aktionen auf einzelne oder mehrere Datensätze angewendet?
  • Ist eine Sortierung oder Filterung notwendig?
  • Müssen Daten einfach verglichen werden können?

Vorteile von Entscheidungsbäumen in der Praxis

1. Beschleunigte Entscheidungsprozesse

Praxisbeispiel: Ein Produktteam steht vor der Entscheidung, wie ein komplexer Filtermechanismus umgesetzt werden soll. Ohne Entscheidungsbaum würde diese Frage von einem Business Analysten, Product Owner oder UX Deisgner ausgearbeitet werden. Verschiedene Varianten werden gesichtet, evaluiert und schließlich im Detail konzipiert – Zeitaufwand: 5PT + diverse Abstimmungen. Mit einem etablierten Entscheidungsbaum kann der Product Owner die Frage in wenigen Minuten selbständig beantworten.

Zeiteinsparung: Bis zu 95% pro Entscheidung

2. Konsistentere Entscheidungen

In Unternehmen mit mehreren Produktteams werden ohne Entscheidungsbäume ähnliche Probleme unterschiedlich gelöst, je nach persönlicher Präferenz des beteiligten Produktverantwortlichen. Mit standardisierten Entscheidungsbäumen werden gleiche Ausgangssituationen auch gleich behandelt.

3. Demokratisierung von UX-Wissen

Business Analysten können bei der Anforderungserhebung bereits qualifizierte Entscheidungen zur UI-Umsetzung treffen, indem sie die Entscheidungsbäume als Leitfaden nutzen. Das UX-Team wird von trivialen Entscheidungen entlastet und kann sich auf komplexere Herausforderungen konzentrieren.

Ergebnis: Business Analyse und UX-Ressourcen werden um bis zu 50% entlastet

4. Verbesserte Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen

Praxisbeispiel: In Design-Reviews oder bei späteren Anpassungen ist klar dokumentiert, warum eine bestimmte Komponente ausgewählt wurde. Statt "weil Person X das so entschieden hat" gibt es einen nachvollziehbaren Entscheidungspfad.

Ergebnis: Reduzierte Diskussionen und schnellere Einigung in Review-Meetings

Fazit: Brücke zwischen Theorie und Praxis

Entscheidungsbäume sind nicht nur praktische Werkzeuge, sondern eine Brücke zwischen der Theorie eines Design Systems und seiner praktischen Anwendung im Alltag. Sie demokratisieren UX-Wissen, beschleunigen Entscheidungsprozesse und fördern Konsistenz über Teams und Projekte hinweg.

Die Investition in gut durchdachte Entscheidungsbäume zahlt sich mehrfach aus:

  1. Reduzierter Abstimmungsaufwand und schnellere Entscheidungsfindung
  2. Konsistentere Benutzeroberflächen und Interaktionsmuster
  3. Entlastung der UX-Experten für komplexere Herausforderungen
  4. Befähigung von Product Ownern und Business Analysten

In einer Zeit, in der Entwicklungsgeschwindigkeit und User Experience entscheidende Erfolgsfaktoren sind, bieten Entscheidungsbäume einen pragmatischen Weg, um Design-Entscheidungen zu demokratisieren und gleichzeitig die Qualität und Konsistenz der Benutzererfahrung zu sichern.

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