
Ab wann lohnt sich ein Design System?
Faktoren und ROI von Design Systemen
Ein gut durchdachtes Design System kann die Produktentwicklung revolutionieren – aber es ist nicht für jedes Unternehmen die richtige Lösung. In diesem Beitrag betrachten wir konkrete Faktoren, die darüber entscheiden, wann die Investition in ein Design System sinnvoll wird.
Die Verhältnismäßigkeit wahren
Ein umfassendes Design System mit Pattern Libraries, Richtlinien und standarisierten Interaktionsmustern lohnt sich nicht immer. Für kleine Teams mit überschaubaren Produkten kann ein solches System unnötigen Overhead bedeuten. In diesen Fällen reicht oft ein einfacher Style Guide und eine Basis Komponentenbibliothek, welche visuelle Elemente wie Farben, Typografie und wiederkehrende UI-Komponenten definiert.
Doch ab welchem Punkt wird die Investition in ein vollständiges Design System unverzichtbar? Die Antwort lässt sich nicht allein an der Unternehmensgröße festmachen, sondern hängt von mehreren Faktoren ab.
Faktor 1: Anzahl und Vielfalt der involvierten Teams
Sobald verschiedene Teams – sei es intern oder extern – an der Gestaltung und Umsetzung digitaler Produkte arbeiten, entstehen zwangsläufig Inkonsistenzen. Besonders kritisch wird es, wenn folgende Konstellationen vorliegen:
- Verschiedene Business Analysten oder POs konzipieren Teile der Anwendung
- Ein UX-Designer ist nur zeitweise oder gar nicht Teil des Teams
- Unterschiedliche Erfahrungslevel innerhalb der Teams, von Berufseinsteigern bis zu Seniors
Faktor 2: Größe und Anzahl der Anwendungen
Mit zunehmender Komplexität und Anzahl der Anwendungen wächst auch die Notwendigkeit für standardisierte Lösungen. Achten Sie auf diese Indikatoren:
- Wiederholende Problemstellungen in verschiedenen Anwendungsbereichen
- Mehrere Produkte mit ähnlichen Funktionen, aber unterschiedlicher Umsetzung
- Komplexe Anwendungen mit vielen verschiedenen Funktionen und Ansichten
- Verschiedene Plattformen (Web, Desktop, Mobile), auf denen ähnliche Funktionen angeboten werden
Bei typischen Business-Anwendungen ist der Punkt, an dem sich wiederkehrende Interaktionsmuster häufen, erstaunlich schnell erreicht. Besonders Prozesse wie Datenerfassung, Listenansichten, Filterfunktionen oder Bearbeitungsabläufe folgen oft ähnlichen Mustern, auch wenn die fachlichen Anforderungen variieren.
Faktor 3: Fluktuation und Projektdauer
Die Notwendigkeit für ein Design System steigt weiter mit:
- Hoher Teammitglieder-Fluktuation, sei es durch Projektwechsel oder Mitarbeiterfluktuation
- Langen Projektlaufzeiten über mehrere Jahre hinweg
- Wissenstransfer zwischen verschiedenen Projektphasen oder Teams
Ein gut dokumentiertes Design System fungiert hier als "institutionelles Gedächtnis" und verhindert, dass wichtige Designprinzipien und Entscheidungen verloren gehen, wenn Schlüsselpersonen das Team verlassen.
Praxisbeispiel: Ein Versicherer entwickelt ein Bestandsverwaltungssystem mit einer geplanten Laufzeit von drei Jahren. In dieser Zeit wechseln zum Teil die Entwicklungspartner und internen Verantwortlichen. Ohne Design System führt jeder Wechsel zu Brüchen in der Benutzeroberfläche und erneuten Grundsatzdiskussionen.
Faktor 4: Geschwindigkeit und Time-to-Market
Ein unterschätzter Faktor ist die Notwendigkeit, schnell auf Marktveränderungen oder neue Anforderungen zu reagieren:
- Agile Entwicklungsumgebungen mit häufigen Iterationen
- Kontinuierliche Produkterweiterungen und neue Features
- Kurze Release-Zyklen mit regelmäßigen Updates
Ein etabliertes Design System beschleunigt die Entwicklung neuer Features erheblich, da grundlegende Interaktionsmuster bereits definiert sind und nicht jedes Mal neu konzipiert werden müssen.
Inwiefern lohnt sich die Investition?
1. Drastische Reduzierung des Konzeptionsaufwands
Ein etabliertes Design System mit Patterns und Guidelines reduziert den Konzeptionsaufwand erheblich, da für wiederkehrende Probleme bereits standardisierte Lösungen existieren.
Beispielrechnung:
- Ohne Design System: 5 Tage Konzeption für einen komplexen Filter-Mechanismus (UX-Konzeption, UI-Design, Abstimmungsrunden)
- Mit Design System: 0,5 Tage zur Anwendung des standardisierten Filter-Patterns
- Zeitersparnis: 90%
Bei durchschnittlich 15 solcher Konzeptionen pro Jahr und einem Tagessatz von 800€:
- Ohne Design System: 5 Tage × 5 Konzeptionen × 800€ = 20.000€
- Mit Design System: 0,5 Tage × 5 Konzeptionen × 800€ = 2.000€
- Jährliche Einsparung durch ein Pattern: 18.000€
Die initialen Kosten für ein Design System amortisieren sich über mehrere solcher Fälle meist in wenigen Monaten.
2. Vermeidung teurer Anpassungsschleifen
Ohne einheitliche Standards werden Inkonsistenzen oft erst spät im Entwicklungsprozess oder sogar nach dem Go-live entdeckt. Die nachträgliche Anpassung ist um ein Vielfaches teurer als die konsequente Umsetzung einheitlicher Patterns von Anfang an.
Kostenvergleich:
- Kosten für nachträgliche UI-Anpassung eines Features: 3-5× höher als bei der Erstentwicklung
- Kosten für UI-Refactoring nach Go-live: 5-10× höher als bei der Erstentwicklung
Praxisbeispiel: Ein Unternehmen muss nach dem Launch einer neuen Plattform feststellen, dass die unterschiedlichen Bearbeitungskonzepte in verschiedenen Bereichen zu Benutzerfehlern führen. Die nachträgliche Vereinheitlichung kostet 120.000€ – ein Betrag, der mit einem Design System vermieden worden wäre.
3. Reduzierung von Schulungs- und Supportkosten
Konsistente Interaktionsmuster reduzieren den Lernaufwand für Nutzer und führen zu weniger Supportanfragen.
Hinzu kommen reduzierte Support-Kosten durch weniger Bedienungsfehler und schnellere Einarbeitung:
- 30% weniger Support-Tickets zu Bedienungsproblemen
- Schnellere Bearbeitung von Tickets durch standardisierte Problemmuster
- Geringere Fehlerquote bei der Dateneingabe
4. Schnellere Einführung neuer Features
Ein etabliertes Design System beschleunigt die Entwicklung neuer Funktionen erheblich:
- Konzeptionsphase: bis zu 50% Zeitersparnis durch vordefinierte Patterns
- Entwicklungsphase: bis zu 47% Zeitersparnis durch wiederverwendbare Komponenten
Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Start?
Der Beste Zeitpunkt für die Einführung sind z.B. Modernisierungsprojekte, in die mehrere Anwendungen involviert sind. Hier ist der direkte Nutzern und ROI besonders hoch.
Doch auch in laufenden Anwendungslandschaften kann sich ein Design System lohnen, welches auf dem bestehende aufbaut.
Warnzeichen, die für ein Design System sprechen:
- In Reviewprozessen tauchen immer wieder dieselben Diskussionen auf
- Nutzer beschweren sich über uneinheitliche Bedienung
- Entwickler implementieren ähnliche Funktionen auf unterschiedliche Weise
- Neue Teammitglieder benötigen lange Einarbeitungszeit
Fazit: Ein Design System als strategische Investition
Ein Design System ist keine Luxus-Ressource für Design-affine Unternehmen, sondern eine strategische Investition mit messbarem ROI. Der richtige Zeitpunkt für den Start ist nicht unbedingt abhängig von der Unternehmensgröße, sondern von der Komplexität der Produkte, der Team-Konstellation und den langfristigen Zielen.
Die Kosten für die Einführung eines Design Systems sollten nicht als Ausgabe, sondern als Investition betrachtet werden, die sich durch reduzierte Entwicklungs-, Schulungs- und Supportkosten sowie durch eine höhere Akzeptanz der Anwendungen mehrfach auszahlt.
Starten Sie nicht zu spät – die nachträgliche Vereinheitlichung “historisch gewachsener” Anwendungen ist deutlich aufwändiger als die frühzeitige Etablierung konsistenter Standards.
Haben Sie Fragen zur Einführung eines Design Systems in Ihrem Unternehmen? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Beratung!